I. Relevanz des Themas

Das Jugendparlament fordert eine Verbesserung der Bildung im Bereich Gefühle und Sexualität an den Luxemburger Schulen, da diese maßgeblich dazu beiträgt die Anzahl an ungewollten Schwangerschaften und Abtreibungen zu verringern, und außerdem ein wichtiger Bestandteil ist, für die gesunde emotionale, sowie soziale Entwicklung von Jugendlichen in unserer Gesellschaft.

Im Kontext der Reform des Abtreibungsgesetzes (Loi du 12 décembre 2012 portant modification des articles 351, 353 et 353-1 du Code pénal, Mémorial A, N°268, 21.12.2012)[1] möchte das Jugendparlament unterstreichen, dass die Abtreibung ein gesellschaftliches und strukturelles Problem ist, dessen Lösung nicht ausschließlich in Gesetzen liegt. Natürlich ist es unumgänglich, dass der Frau, im Falle einer ungewollten Schwangerschaft, durch den Gesetzgeber die Möglichkeit einer selbstbestimmten Abtreibung garantiert wird. Deshalb sieht das Jugendparlament diese Gesetzesreform als Schritt in die richtige Richtung an, spricht sich jedoch weiterhin für ein weiterreichendes Selbstbestimmungsrecht der Frau aus. Hierzu ist die Resolution des Jugendparlamentes betreffend des freiwilligen Schwangerschaftsabbruches zu beachten.[2]

Primäres Ziel soll es jedoch sein, es zu verhindern, dass eine Frau sich in der Situation einer ungewollten Schwangerschaft befindet. Die Ursachen einer ungewollten Schwangerschaft sind sehr verschieden und sehr komplex. Man kann aber nach hinreichender Betrachtung das teils sehr verstörte und unnatürliche Verhältnis unserer Gesellschaft zur Sexualität hierfür verantwortlich machen. Ein Beispiel hierfür ist Italien, wo, trotz einer verhältnismäßig liberalen Abtreibungsgesetzgebung (mit Fristenregelung), viele Frauen im Ausland oder auf eine andere illegale Weise abtreiben müssen, da bis zu 70 Prozent der Mediziner[3] es aus Gewissensgründen ablehnen Abtreibungen durchzuführen. Dadurch werden einerseits die Wartezeiten teilweise so lang, dass die Frau die gesetzlichen Fristen nicht mehr einhalten kann, andererseits lassen sich die Gynäkologen, die Abtreibungen durchführen, diese Leistungen einiges kosten[4]. Diese Situation verdeutlicht eindeutig die gesellschaftlich strukturelle Ebene der Problematik.

Das Verhältnis ist insoweit verstört und unnatürlich, als dass die Gesellschaft ein Bild von der Sexualität vermittelt und vermittelt bekommt, das an und für sich von tiefen Widersprüchen geprägt ist. Die Sexualität als Tabuthema verhindert den offenen und ehrlichen Dialog darüber. Sie ist nicht salonfähig, viele Menschen empfinden es als peinlich und beschämend das Thema der Sexualität, auf die eine oder andere Weise, öffentlich zu thematisieren.

Gleichzeitig ist die Medienlandschaft von Bildern der Sexualität saturiert, die meistens explanativ, polarisierend und generalisierend sind auf Ebenen der sexuellen Aktivität, Orientation und Genderrollen sowie Körperimage. Diese Widersprüche sind äußerst verwirrend und erschweren erheblich den (jungen) Menschen es auf gesunder Art und Weise sich mit ihrer eigenen, persönlichen Sexualität zu befassen und die für sie richtigen Wahlen zu treffen in dieser Hinsicht.  So werden beispielsweise in Schulen gratis zur Verfügung gestellte Verhütungsmittel, einerseits aus Schamgefühl nicht genutzt, andererseits wird mit den Kondomen gespielt, wofür Schüler gescholten werden und was wiederum den Schamfaktor um die Kondomdispenser erhöht. Andere Präventionsmaßnahmen des Staates oder anderer Organisationen bieten ihrerseits Dienste an, die im Rahmen des Unterrichts genutzt werden können (e.g. Sitzungen beim Planning familial). Diese werden aber oft wegen der Schwierigkeit, das Tabu zu überwinden, übersehen, bzw. mangels adäquater Vor- und Nachbereitung können sie ihren Zweck nicht vollends erfüllen (so die Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse der affektiven und sexuellen Bildung in Luxemburg)

Auch die Aufklärung in der Familie leidet unter dieser Tabuisierung. Eltern, sowie Kinder, schämen sich häufig über dieses Thema miteinander zu sprechen.

Trotzdem ist unsere Sexualität zentraler Bestandteil unseres Lebens und umfasst unsere gesamte Gesellschaft. Es ist ein Thema über das man im Alltag offen, ehrlich und inklusiv sprechen können muss. Deshalb muss es enttabuisiert werden, um Heranwachsenden, egal welchen Alters, zu ermöglichen, ein gesundes Verhältnis zur Sexualität zu entwickeln. Der einzige Weg hierzu führt über die Bildung, die Schule ist der Ort an dem die Veränderung beginnen muss.

Bei der derzeitigen Schulaufklärung besteht absolut Nachholbedarf. Einerseits wird nicht auf die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Die zur zeitigen Gewichtung im Unterricht, die die biologischen Aspekte bevorzugt, trägt den emotionalen bzw. sozialpsychologischen Aspekten nicht genug Rechnung. Andererseits wird die Aufklärung oft nur als notwendiges Übel angesehen, lediglich kurz am Ende des Schuljahres angesprochen um nicht zu viel Zeit für andere, auf den ersten Blick wichtiger erscheinende Themen, zu verlieren. Desweiteren fehlt es den Grund-und Sekundarschullehrern meistens an der nötigen Ausbildung, um bei einem solch intimen Thema den richtigen Draht zum Schüler zu finden und angepasst auf die Problematik einzugehen.

Negativ verstärkt werden die Konsequenzen dieses Mangels an Aufklärung (in der Schule und Zuhause) durch die rasante multimediale Entwicklung der letzten Jahre. Jugendliche/Kinder kompensieren diesen Mangel, in dem sie unter anderem auf neue Medien zugreifen und diese als alleinige bzw. wichtigste Informationsquellen nutzen. Ihr Bild über ihren Körper und ihre Sexualität wird so größtenteils durch die Inhalte, die sie auf Internetseiten, sozialen Netzwerken, im Fernsehen, in der Zeitung und vor allem in der Werbung sehen, beeinflusst. Diese Darstellungen sind jedoch oft in hohem Maße konstruiert, idealisiert, einseitig, stereotypisierend und sexistisch und vermitteln dem Kind/Jugendlichen ein falsches Bild der Sexualität, was für viele junge Menschen, insbesondere junge Frauen, sehr schädlich sein kann.

Desweiteren sind pornographische Inhalte heute omnipräsent und für jeden frei zugänglich, diese liefern jedoch unrealistische und sexistische Vorbilder für Körperbild und Sexualverhalten, die viele Menschen einschüchtern. Ein solches Normisieren ist problematisch, da junge Menschen wegen dieser einseitigen Darstellungen verschiedene Vorlieben, u.a. Homosexualität, dadurch als „unnormal“ empfinden können und deswegen allgemein ungesunde Hemmungen oder sogar Ekel vor der eigenen Entwicklung und Selbsterforschung entwickeln können. Obwohl es immer ein, sich kontinuierlich veränderndes, gesellschaftliches Schönheitsideal geben wird, führt die Vermittlung  von verschiedenen körperlichen Idealen in den Medien zu einer problematischen Beziehung zwischen den Menschen und ihrem eigenen Körper herbei. Diese Problematik kann auch auf andere gesellschaftliche Probleme, wie zum Beispiel Essstörungen, ausgeweitet werden.

Ein weiteres Problem unserer Gesellschaft ist die Normalisierung bzw. Rechtfertigung von sexueller Nötigung. In extremen Fällen verdreht die heutige Kultur  die Schuldverhältnisse indem die Opfer von sexueller Gewalt oft für ihre eigenen Vergewaltigungen verantwortlich gemacht werden, indem beispielsweise darauf hingewiesen wird dass sie unter Einfluss von Rauschmittel gestanden hätten oder sich provokativ gekleidet hätten und es deswegen berechtigt gewesen sei. Die Scham, die diese Form von Verbrechen umgibt, hindert viele Opfer (weibliche genauso wie männliche) daran, diese zu melden, um legale Konsequenzen zu ziehen bzw. überhaupt darüber zu sprechen und bei Bedarf angemessene professionelle Hilfe zu suchen.

Außerdem führen verstärkte Stereotypisierungen von Geschlechterrollen zu Hetero-/Sexismus, der in der gesellschaftlichen Ordnung strukturell verankert wird. Hier entstehen generell Probleme bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau, sowie strukturelle Diskriminierung.

Allgemein muss anerkannt werden, dass die Sexualkunde viel weiter reichen muss, als die bloße Behandlung von den Funktionen verschiedener Geschlechtsorgane im Biologieunterricht. Letzen Endes führen die gesellschaftlichen und persönlichen Implikationen rund um Sexualität dazu, dass es sich bei der Notwendigkeit einer adäquaten und breitgefächerten Sexualkunde um eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Gesundheit handelt, die von anderen Problematiken wie Gleichberechtigung, Suchtverhalten, persönliche Freiheit, Respekt und Solidarität nicht getrennt werden kann, sondern bestenfalls nuanciert.

 

II. Was wir fordern

Basierend auf der Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse der affektiven und sexuellen Bildung in Luxemburg[5] und in positiver Betrachtung des Aktionsplans über die emotionale und sexuelle Gesundheit[6] ausgearbeitet von verschiedenen Ministerien, fordert das Jugendparlament eine Verbesserung der Aufklärung an Luxemburger Grund- und Sekundarschulen in folgenden Punkten.

 

1. Vom rein biologischen Aspekt der Aufklärung zur affektiven und sexuellen Bildung.

 

Die momentane Form der Aufklärung an unseren Schulen legt zu viel Wert auf den wissenschaftlichen Aspekt unserer Sexualität. Wissen wie etwas funktioniert heißt nicht unbedingt auch wissen wieso. Deshalb muss der Schwerpunkt auf die Gefühlswelt des Schülers gelegt werden. Er soll verstehen lernen wieso er fühlt, was erfühlt, seine Gefühle deuten und damit umgehen lernen. Aus diesem Grund auch die Bezeichnung Affektiv- und Sexualkunde. Ganz einfach soll der emotionale, psychologische Aspekt der Sexualität mehr thematisiert werden. Bei dieser Thematik ist desweiteren absolut hervorzuheben, dass sie nicht von anderen sozialen Thematiken zu isolieren ist. So sind zum Beispiel die Affektiv- und Sexualkunde und Thematiken wie die Gewalt- und Drogenprävention extrem eng miteinander verstrickt.

Dem emotionalen Aspekt der Sexualität mehr Wichtigkeit zuzugestehen als es heute der Fall ist, heißt natürlich nicht, dass der wissenschaftlich biologische Aspekt vernachlässigt werden sollte.

 

2. Eine standarisierte Struktur.

 

Die besten Ideen und Richtlinien sind nicht von Nutzen, wenn es an ihrer Ausführung scheitert. Momentan gibt es leider einen massiven Qualitätsunterschied in puncto Aufklärungskurs zwischen den verschiedenen Schulen und Lehrern. So gibt es teilweise Informationsstunden durch beispielsweise das Planning Familial, jedoch nicht an jeder Schule. Deshalb soll die Affektiv- und Sexualkunde als standarisierte Struktur, in Form eines eigenständigen Faches, eingeführt werden. Wir fordern Affektiv-und Sexualkunde als in den Stundenplan integriertes Fach mit folgender Gewichtung: 1 Stunde pro Woche während eines Trimesters jeweils im 4. Zyklus der Grundschule, im „cycle inférieur” und im “cycle supérieur” des Lyzeums.

 

Das Fach soll auch von eigens dazu ausgebildeten Ausbildern gehalten werden, die vorzugsweise nicht zum alltäglichen Lernumfeld des Schülers gehören und mit denen sich die Schüler in einem gewissen Maße identifizieren können.

 

Den Ausbildern müssen auch konkrete didaktische Materialien zur Verfügung gestellt werden und diese sollen auch in den Kurs mit eingebunden werden. Wie etwa

 

 

verschiedene Verhütungsmittel, Zugriff auf die Medien mit denen die Schüler sonst ohnehin und ohne Unterstützung konfrontiert werden, um gemeinsam sachliche Analysen zu machen, etc.

 

Beispiele hierfür sind:

„Mit Sicherheit verliebt“[7]. Ein aus Deutschland stammendes Projekt bei dem Medizinstudenten von Schule zu Schule gehen und Aufklärungsstunden halten.

Die „Spring Fever Week“ in den Niederlanden, während der alle paar Jahre Schüler zusammenkommen und altersangepasste Sexualkunde angeboten bekommen.

 

3. Die Interdisziplinarität des Themas Sexualität

 

Themen aus dem Bereich der Sexualität und der Gefühlswelt sollen fächerübergreifend in das Lernprogramm integriert werden, um die kritische Auseinandersetzung des Schülers mit dem Thema zu fördern.

 

4. Konkrete Themen die es anzusprechen gilt

 

Der Schüler soll wissen wo er dran ist, klar und unverbindlich, deshalb sollen folgende Themen im Rahmen der Affektiv- und Sexualkunde konkret angesprochen werden.

 

a) Eine klare Definition des Begriffes: Was ist Geschlechtsverkehr?

 

b) Wie kommt es zu sexueller Gewalt?

 

c) Thematisierung der verschiedenen sexuellen Orientierungen.

Eine häufigere Thematisierung der verschiedenen sexuellen Orientierungen soll dem Schüler vermitteln, dass es bei der sexuellen Orientierung nicht um eine Entscheidung geht, dass sie ein Gefühl ist, was nicht beeinflussbar ist. Dies geschieht mit dem Ziel den Schülern die Normalität „anderer“ sexueller Orientierungen  bewusst zu machen und so gegen Vorurteile und Intoleranz anzukämpfen.

 

d) Der soziologische Aspekt des Geschlechtes und die verschiedenen Geschlechterrollen.

 

e) Was ist Sexismus?

 

f) Körperbild und Identität in Relation zum Geschlecht.

 

g) Die Themen sollen dem Alter der Schüler angepasst sein.

 


[2] Resolution des Jugendparlaments 2010/2011„L’interruption volontaire de la grossesse au Luxembourg : De l’avortement clandestin à l’interruption volontaire, encadrée et légale d’une grossesse non désirée.“

http://www.jugendparlament.lu/2011/08/linterruption-volontaire-de-la-grossesse-au-luxembourg-de-lavortement-clandestin-a-linterruption-volontaire-encadree-et-legale-dune-grossesse-non-desiree/

[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Schwangerschaftsabbruch#Italien

[5] Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse der affektiven und sexuellen Bildung in Luxemburg; Autor: Diderich Gary (4motion asbl), im Auftrag vom: Ministère de la Famille et de l‘Intégration